Internationaler Frauentag: Unser Interview mit zwei Ingenieurinnen

08.03.2024

Links Emilie Gex, Geschäftsleiterin in Lausanne, und rechts Yasmine Biselx, Bauingenieurin / Leiterin Tiefbau in Sion

Was hat dich zu deiner Karriere als Ingenieurin inspiriert? Was war der Auslöser?
 

Emilie Gex: "Ich kann mich noch sehr gut an diese Zeit erinnern und habe sogar eine kleine Anekdote zu erzählen! Als ich beschloss, mich dem Ingenieurwesen zuzuwenden, kam ich überhaupt nicht aus einem wissenschaftlichen Hintergrund. In der Sekundarschule habe ich mich eher auf Wirtschaft und Recht ausgerichtet und hatte ursprünglich vor, an der Handelsschule oder in einem ähnlichen Bereich zu studieren. Allerdings änderte sich alles dank eines aussergewöhnlichen Biologielehrers. Durch ihn begann ich, mich für die Naturwissenschaften zu interessieren. Zuvor hatte ich dafür nur wenig Interesse. Der Lehrer sensibilisierte uns für die «Mechanik des Lebens» und die Herausforderungen im Zusammenhang mit Biodiversität, Wasserressourcen und Energie, lange bevor die Umweltproblematik zu einem gesellschaftlichen Thema wie heute wurde.

Ende der neunziger Jahre stand der Klimawandel nicht so sehr im Mittelpunkt des Interesses. Aber dieser Lehrer hat es geschafft, uns die Augen für dessen Bedeutung zu öffnen, und das hat sich mir fest eingebrannt. Ich beschloss, dass ich als Erwachsene in einem Bereich tätig sein wollte, in dem ich mich diesen grossen gesellschaftlichen Herausforderungen widmen konnte. Ich schwankte lange zwischen einem Biologiestudium, um Ökosysteme besser verstehen und analysieren zu können, und dem damals noch als «génie rural» bezeichneten Studiengang an der EPFL, der heute als Umweltwissenschaften bekannt ist und den ich durch einen Freund kennengelernt hatte.

Durch die Besuche an den Tagen der offenen Tür an der EPFL wurde mir bewusst, dass ich durch ein Ingenieurstudium wirklich etwas bewegen und konkrete Lösungen vorschlagen kann, dass ich mich aktiv am Wandel beteiligen kann. Das gab letztlich den Ausschlag, aber Biologin wäre ich auch gerne geworden.

Was die Anekdote angeht: Einmal ging ich zu einer Berufsberaterin, um mir bei der Wahl des Studiengangs Unterstützung zu holen. Ihre Antwort verblüffte mich: «Oh, wissen Sie, die EPFL ist eher eine Schule für Jungen. Ich würde Ihnen eher empfehlen, Biologie zu studieren.» Diese Bemerkung irritierte mich zutiefst. Dass man so etwas Anfang der 2000er Jahre zu einem jungen Mädchen auf der Suche nach ihrem Weg sagen konnte, hat mich wirklich verstört. Vielleicht hat diese Episode meinen Wunsch, Ingenieurwesen zu wählen, noch verstärkt – um die Klischees Lügen zu strafen, könnte man sagen"

Yasmine Biselx: "Als ich sechs Jahre alt war, ging ich in einen alten Keller, in dem ich ein wunderschönes Steingewölbe entdeckte. Seit diesem Tag war ich von der Statik, der Konstruktion und dem Einfallsreichtum der Bauwerke fasziniert. Zu meinem zehnten Geburtstag bekam ich als Geschenk eine Eintrittskarte für die Besichtigung eines Tunnels, der gerade gebaut wurde. Und jetzt, 25 Jahre später, baue ich selbst die Objekte, die mich als Kind so fasziniert haben!"

 

Kannst du uns etwas über deinen beruflichen Werdegang erzählen? Was waren bislang deine grössten Herausforderungen und Erfolge?

Emilie Gex: "Nachdem ich 2006 meinen Abschluss an der EPFL in Umweltwissenschaft und -technik gemacht hatte, begann ich meine Karriere bei CSD als Projektingenieurin. Hier hatte ich die Gelegenheit, verschiedene Bereiche zu erkunden. Bei CSD gab es eine spannende Aufgabenvielfalt, die von Umweltverträglichkeitsprüfungen über StFV-Risikobewertungen bis hin zur Leitung von Baustellen im Zusammenhang mit Altlasten und Projekten im Bereich der Abfallwirtschaft reichte.

2011 war ich ein Jahr lang in der Industrie tätig. Ich hatte einen Auftrag bei Nestlé, um den Wasserverbrauch der Nescafé-Fabrik zu analysieren und Optimierungsmöglichkeiten vorzuschlagen. Das war perfekt mit einem privaten Projekt abgestimmt, das mir sehr am Herzen lag. Nach einem Jahr Sabbatical und Weltreise wurde ich von Félix Schmidt, damals Mitglied der Direktion von CSD und für den Export verantwortlich, kontaktiert. Er schlug mir vor, dem Team beizutreten, das an Auslandsprojekten arbeitete. Ich habe sofort zugesagt. Die Idee, die Welt weiter zu erkunden und meine Sprachkenntnisse einzusetzen, war sehr anziehend. Es folgten sechs spannende Jahre, die ich zwischen der Schweiz, Peru, Bolivien, Zentralamerika und Albanien verbracht habe. Ich habe Kommunen dabei geholfen, Lösungen zur Abfallwirtschaft umzusetzen, Kundschaft aus der Industrie in der Prozessoptimierung unterstützt, und ich habe mit Schweizer Kolleg:innen bei komplexen Studien zusammengearbeitet und Kurse gegeben, intern und an der EPFL. 

2019 wurde mir angeboten, Movi+ zu leiten, eine Genossenschaft, die sich auf die Entwicklung von Querschnittsprojekten im Bereich des öffentlichen Verkehrs konzentriert, insbesondere im Bereich der digitalen Dienstleistungen. Die Herausforderung habe ich angenommen und CSD verlassen, um die Leitung dieser Genossenschaft zu übernehmen.

Nach zwei stimulierenden und erfüllenden Jahren als Leiterin von Movi+ habe ich schliesslich entschieden, wieder zu CSD zurückzukehren, wo die Vielfalt an Aufgaben und Projekten schier unendlich ist. Mit Pascal Helfer als stellvertretende Leiterin der Geschäftsstelle Umwelt zusammenzuarbeiten war die perfekte Gelegenheit, meine Interessen für die Unternehmensleitung, die Moderation von Gruppen, Umwelt und Multidisziplinarität zu verbinden. Seit dem 1. Januar bin ich nun Geschäftsleiterin der Niederlassung Lausanne bei CSD und freue mich auf die neue Herausforderung.
Der rote Faden in Bezug auf Herausforderungen und Erfolge ist, dass ich in meiner Karriere immer in der Lage war, mich anzupassen – an völlig neue Situationen, an Kontexte, die mir in Bezug auf Sprache und Kultur fremd waren und in Bereichen, die manchmal sehr weit von meinem Kompetenzbereich entfernt waren."

Yasmine Biselx: "Ich habe eine Lehre als Bauzeichnerin absolviert und dabei viele verschiedene Bereiche kennengelernt. Da ich eine Leidenschaft für den Bau habe, wollte ich mehr am eigentlichen Bau mitwirken. CSD gab mir 2015 die Gelegenheit, beim Bau eines Trinkwasserreservoirs mitzuarbeiten. Anschliessend absolvierte ich eine Ausbildung zur Meisterin für Bauleitung im Bauingenieurwesen. Einige Jahre später baue ich selbst fast alles, was gebaut werden kann. Ich arbeite hauptsächlich an Fernwärmeprojekten, Kläranlagen, Wasserläufen und verschiedenen anderen Bauwerken. 

Die grössten Herausforderungen sind für mich das Gleichgewicht zwischen Kosten, Qualität und Terminen bei extrem komplexen und multidisziplinären Projekten. Der permanente Wettlauf gegen die Zeit treibt uns jedes Mal über unsere Komfortzonen hinaus. Er bringt aber auch das Beste in uns zum Vorschein: die Fähigkeit zur ständigen Anpassung."

 

Kannst du uns eine Geschichte oder einen beruflichen Moment mitteilen, auf den du besonders stolz bist?

Emilie Gex: "Nichts macht mich zufriedener, als zu sehen, wie die kollektive Intelligenz einer Gruppe in Aktion tritt und zu einer gemeinsam erarbeiteten Lösung oder Idee führt, auf die alleine niemand gekommen wäre.
Ich kann kein Beispiel nennen, auf das ich persönlich besonders stolz wäre, aber gemeinsame Erfolge, zu denen ich hoffentlich beigetragen habe!
"

Yasmine Biselx: "Ich glaube, das wird für immer die Mikrotunnelbohrmaschine unter der Rhône bleiben, die meinen Vornamen trug. Das war ein wunderbares Abenteuer!"

 

Welche Fähigkeiten oder Eigenschaften haben dir in deiner Karriere als Ingenieurin am meisten geholfen?

Emilie Gex: "Es bedarf einer ausgeprägten Fähigkeit, zuzuhören, zu verstehen und zu analysieren, um komplexe Projekte zu leiten, die Multidisziplinarität verlangen und häufig von widerstreitenden Herausforderungen geprägt sind. Es ist entscheidend, die vielfältigen Bedürfnisse zu verstehen, zu analysieren und in konkrete Ziele umzusetzen. Nur so erreicht man Konsens in der Verhandlung mit allen Beteiligten. Technische Fähigkeiten, analytischer Geist und gute Kommunikation sind erforderlich, um diese Herausforderungen zu bewältigen und mit Parteien zu interagieren, die ganz unterschiedlich denken und sprechen. Konkret: Finanzbeamte sprechen anders als Bauingenieur:innen, diese wiederum anders als technische Ingenieur:innen und diese wiederum anders als Geolog:innen, die ihrerseits anders sprechen und andere Prioritäten haben als Architekt:innen oder Politiker:innen. Und dennoch müssen sich diese alle verstehen. Darüber hinaus sind Ausdauer und Optimismus unerlässlich, um die anhaltenden Herausforderungen während des Projektverlaufs zu bewältigen. Mit einer vermittelnden und positiven Einstellung kann man zum Finden von Lösungen und zu kontinuierlichem Fortschritt beitragen."

Yasmine Biselx: "Belastbarkeit und Sinn für Humor! Und ausserdem: Denken, erfinden, vorstellen, innovativ sein – oft, schnell und gut."

 

Kannst du uns ein Projekt oder ein komplexes Problem beschreiben, an dem du in letzter Zeit gearbeitet hast, und wie du es angegangen bist?


Emilie Gex
: "Ich habe kein konkretes Beispiel, aber insgesamt gehe ich komplexe Probleme an, indem ich sie in kleine, überschaubare Probleme aufteile und Konzepte der Analyse, des Zuhörens und der Neuformulierung anwende, wie schon gesagt. Dies ermöglicht es in der Regel, die Quelle eines Problems zu finden, Varianten vorzuschlagen, sie zu analysieren, objektiv zu vergleichen und, wenn alles gut läuft, das Problem zu lösen."

Yasmine Biselx: "Multidisziplinäre Projekte (Bauingenieurwesen, Umwelt und Gebäudetechnik) sind derzeit unsere grössten Herausforderungen. Sie sind äusserst interessant, erfordern jedoch Anpassungsfähigkeit und ständiges Lernen."

 

Welchen Rat würdest du jungen Frauen geben, die eine Karriere im Ingenieurwesen in Betracht ziehen?

Emilie Gex: "Einfach loszulegen! Vor allem sollte man sein Geschlecht nicht als Barriere betrachten und die Dinge tun, die man tun will und für sinnvoll hält. Wir tun das, woran wir glauben!"

Yasmine Biselx: "Wenn du die Welt verändern willst, fang damit an, sie zu bauen!"

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